Vor seiner Abreise zur IMEX nach Las Vegas führte ich ein Interview mit Christoph Tessmar, dem (deutschen) Direktor des Barcelona Convention Bureau zur Haltung der Stadt rund um das Katalanische Unabhängigkeitsreferendum und zur möglichen Auswirkung auf Veranstaltungen und das Tagungsgeschäft in Barcelona.
Wir haben in Deutschland in der vergangenen Woche den Tag der Einheit gefeiert – wie kann man sich dagegen den Wunsch nach Unabhängigkeit in Barcelona und Katalonien erklären? Habt Ihr voraussehen können, dass eine solche Zuspitzung zu erwarten ist?
Die Situation ist verfahren und m. E. allen Beteiligten aus den Händen geglitten. Abgezeichnet hat sich die Abspaltungstendenz bereits seit Langem, aber die spanische Regierung hat die Zeit seit dem ersten Referendum 2014 auch nicht zur Gegensteuerung genutzt. Jetzt mit Gewalt zu reagieren, hat die Situation ganz bestimmt nicht entschärft. Eine derartige Eskalation war nicht vorhersehbar. Da die Berichterstattung in Spanien auf beiden Seiten (Zentralregierung und Regionalregierung) tendenziös ist, versucht die Stadt Barcelona und das Kongressbüro den Veranstaltern Sicherheit und Unterstützung zu geben, wo es nur geht.
Wie kann das konkret aussehen?
Die Stadt Barcelona stellt sich ganz klar auf die Seite der Veranstalter – z. B. findet Ende des Monats der Kongress der United European Gastroenterology, 28.10. – 01.11., 25th UEG week, in Barcelona statt – es werden rund 15.000 Teilnehmer erwartet. In direktem Austausch mit dem Veranstalter übernimmt die Stadt Verantwortung und koordiniert alle nötigen Schritte quer durch alle beteiligten Gremien. Die Stadt Barcelona ist mit dem Executive Committee der UEG in ständigem Austausch.
Wir gehen sachlich und ruhig mit allen Eventualitäten um und sprechen diese mit dem Veranstalter durch. Die städtische Ebene ist in den verschiedenen Gremien der Kongressorganisatoren stark integriert, so hat z. B. die Fira Barcelona (Messe) einen Maßnahmenkatalog für den Organisator ausgearbeitet und wir vom Convention Bureau haben zusammen mit dem Transportation Committee einen Plan B für einen flexiblen Einsatz von alternativen Transportmitteln (etwa bei Ausfall der U-Bahn o. ä.) aufgestellt. Die Stadt garantiert dem Executive Committe die größtmögliche Sicherheit und Unterstützung.
Im September fanden kürzlich parallel 2 Kongresse statt – es gab keinerlei Probleme bei der Abwicklung oder eine Überschneidung von Schauplätzen zwischen Kongressen und Demonstrationen.
(European Society for Organ Transplantation (ESOT), 24.-27. September, 18th Congress of the European Society for Organ Transplantation, und vom 23. – 26. September 2017, The 23rd World Route Development Forum.
Wie sieht es mit der ibtm – einer der großen Leitmessen in der MICE Branche Ende November – aus? Gibt es Bedenken vonseiten der Veranstalter?
Nein, die Veranstalter haben noch keinerlei Bedenken geäußert – außerdem sind wir auch hier in ständigem Austausch. Wir erwarten nach derzeitigem Stand keine Probleme.
Es scheint, dass andere spanische Städte die Situation nützen, um Geschäft aus Barcelona umzuleiten – es kursieren dazu bereits sehr tendenziöse Informationen (Pressemeldungen usw.) – wie stehst Du und Dein Team dazu?
Wir erhalten sehr viel Zuspruch und Aufmunterung von Freunden aus der MICE Industrie aus der ganzen Welt und ich bedanke mit bei allen Kollegen in der Branche, die uns unterstützen. Ja, es gibt immer Personen oder Einrichtungen, die aus dem Problem anderer Profit ziehen wollen. In meinen Augen keine nachhaltige Strategie … Wir sind da, es ist alles ruhig hier und man bemerkt generell in der Stadt nichts von Unruhe. Wir kümmern uns um alle Probleme, die gelöst werden müssen.
Man hört, dass internationale Firmen sich aus Barcelona und Katalonien zurückziehen oder ihren Hauptsitz aus der Stadt verlegen…
Ja, das passiert schon seit längerer Zeit und wird sicher im Falle einer Unabhängigkeitserklärung ein großes Problem für die hiesige Wirtschaft. Viele Firmen warten ab, wie sich die Situation entwickelt.
Es gibt ja auch ein Convention Bureau von Katalanien, welches unabhängig von Barcelona CVB operiert – wie ist deren Position?
Das können wir leider nicht sagen – bisher konnten wir keine Stellungnahme bekommen.
(Anmerkung tmf-dialogue: Weder auf der Website des Katalanischen Fremdenverkehrsamts in Frankfurt noch auf der Seite des Catalunya Convention Bureaus finden sich Statements oder Hinweise auf die derzeitige Situation.)
Welche Botschaft hast Du für die internationale MICE Community?
Bitte habt keine Angst, nach Barcelona zu kommen – es ist sicher hier und alle Events werden mit größtmöglicher Professionalität und höchstem Einsatz abgewickelt, wie immer. Wir haben bisher keine Absagen von Veranstaltungen bekommen und wir sowie die Partner im Business Events Sektor der Stadt verdienen das Vertrauen!
Vielen Dank Christoph!
Offizielle Stellungnahme von Turisme de Barcelona:
Turisme de Barcelona wholeheartedly condemns the scenes of violence that took place in Barcelona and other parts of Catalonia on the occasion of the referendum held yesterday on 1 October which has nothing to do with the climate of coexistence and civic-mindedness that form part of our identity.
The acts that affected the civic spirit on the day of the election are unacceptable in a democratic and advanced society in the European Union.
The Consortium continues to work with dedication, professionalism and rigour to take care of its visitors and ensure a better understanding of Barcelona and the values that place it at the service of people and the economy. Activity in the city continues as normal and in the same spirit of coexistence and cohesion in which it excels in all areas.
Barcelona, 2 October 2017
Photo: ©Barcelona Convention Bureau